Text-Archiv


WV-Nr: 1981-07
"Bernsteinmeer" 1981
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand





WV-Nr: 1982-03
"Im Garten der Lüste" 1982
270 x 200 cm, Acryl auf Leinwand





WV-Nr: 1982-04
"Willow" 1982
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand




Kunst im Wandel

*Von Malenka Radi*


### Die Verbindung von Kandinskys Farbtheorien und der Malerei von Reinhard Fritz

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts revolutionierte Wassily Kandinsky die Kunstwelt, indem er die Loslösung von der Gegenständlichkeit in der Malerei vorantrieb. In seiner bahnbrechenden Abhandlung *Über das Geistige in der Kunst* (1912) beschreibt Kandinsky eine Vision von Malerei, die durch Komposition und Farbe eine direkte, fast metaphysische Wirkung auf die Seele des Betrachters entfaltet. Seine Farbenlehre, geprägt von der Idee, dass Farbe als unabhängiger Ausdrucksträger universelle, innere Zustände ansprechen könne, wurde zur Grundlage abstrakter Kunst. Doch wie manifestiert sich dieses Konzept in der Praxis – und wie findet es im Werk zeitgenössischer Künstler wie Reinhard Fritz eine moderne Fortführung?

### Die Philosophie der Farbe: Von Kandinsky zu Fritz

Kandinsky betrachtete Farben nicht nur als visuelle Phänomene, sondern als Träger spiritueller Energie. Jede Farbe besitze, so Kandinsky, eine innere Resonanz, die unabhängig von der Naturdarstellung existiere. Blau, so argumentierte er, habe eine meditative, himmlische Tiefe, während Rot Kraft und Leidenschaft symbolisiere. Diese abstrakte Sprache der Farbe nutzte Kandinsky, um Betrachter auf einer emotionalen und spirituellen Ebene anzusprechen.

Reinhard Fritz, ein Künstler des späten 20. Jahrhunderts, dessen Aquarelltechniken und Acrylbilder eine subtile Transparenz und Intensität zeigen, knüpft auf bemerkenswerte Weise an Kandinskys Thesen an. Während Fritz sich nie ausdrücklich auf Kandinsky beruft, spiegelt seine Arbeitsweise die Idee einer autonomen Farbgestaltung wider. Fritz’ Farbschichten, die er durch eine Methode des Schichtauftrags erzielt, erzeugen einen schwebenden, nahezu ätherischen Effekt. Seine Bilder wie *Bernsteinmeer* (1981) oder *Im Garten der Lüste* (1982) transformieren natürliche Erscheinungen in abstrakte Farb- und Formwelten, die dem Betrachter Raum für eigene Assoziationen lassen.

### Abstraktion und Emotion: Der Weg zur inneren Resonanz

Sowohl bei Kandinsky als auch bei Fritz spielt der Prozess der Abstraktion eine zentrale Rolle. Für Kandinsky bedeutete Abstraktion die Befreiung von der Materialität, um das „Geistige“ in der Kunst sichtbar zu machen. Fritz hingegen folgt einem intuitiveren Zugang. Seine Motive – sei es die Landschaft der Ostsee, wie in *Bernsteinmeer*, oder die organischen Formen von Maulwurfshügeln, wie in *Willow* (1982) – dienen als Ausgangspunkte für eine tiefere, farbliche Exploration.

Die Farbgebung bei Fritz ist jedoch weniger programmatisch als bei Kandinsky. Während Kandinsky von einer festen Farbpsychologie ausging, vertraut Fritz stärker auf die sinnliche Wahrnehmung und die Wirkung sich überlagernder Farbschichten. Seine Werke sind geprägt von einer Transparenz, die sich aus der Technik des Schichtauftrags ergibt: Jede Farbschicht bleibt sichtbar, ähnlich wie bei der Aquarellmalerei, was seinen Bildern eine dynamische Lebendigkeit verleiht.

### Praktische Anwendung und Rezeption

Eine zentrale Frage bleibt: Sind Kandinskys Farbthesen bloße Theorie, oder finden sie in der Kunstpraxis und -rezeption auch universelle Anwendung? Fritz’ Arbeiten liefern hier eine interessante Antwort. Seine Gemälde laden Betrachter nicht nur ein, die Farbkompositionen zu erleben, sondern sie geben ihnen auch die Freiheit, Bedeutungen und Emotionen selbst zu entschlüsseln. Dies deckt sich mit Kandinskys Idee, dass Kunst nicht lediglich „gesehen“, sondern „gefühlt“ werden soll.

Dabei entfalten Fritz’ Bilder eine bemerkenswerte zeitliche Aktualität. In einer Welt, die von visueller Reizüberflutung geprägt ist, wirken seine Werke wie ein Innehalten – ein meditativer Raum, in dem Farben und Formen zu einer universellen Sprache verschmelzen.

### Eine moderne Verbindung von Theorie und Praxis

Der Vergleich zwischen Kandinsky und Fritz zeigt, wie zeitlos die Auseinandersetzung mit Farbe als künstlerischem Ausdrucksträger ist. Während Kandinsky die theoretischen Grundlagen legte, setzt Fritz diese in eine Praxis um, die die Grenzen zwischen Tradition und Moderne, Gegenständlichkeit und Abstraktion verschwimmen lässt.

Seine Werke erinnern uns daran, dass Kunst auch heute eine transformative Kraft besitzt. In einer Gesellschaft, die sich oft von der Materialität des Alltags vereinnahmen lässt, bietet die Malerei von Reinhard Fritz – wie auch die Theorien von Wassily Kandinsky – einen Rückzugsort, um über die tieferliegenden Zusammenhänge von Farbe, Form und Geist nachzudenken.

Ein Werk wie *Im Garten der Lüste* zeigt eindrücklich, dass Kunst nicht nur Dekoration ist, sondern eine Einladung, uns selbst und unsere Beziehung zur Welt zu reflektieren. Kandinsky und Fritz, getrennt durch Zeit und Technik, sind durch diese gemeinsame Suche nach dem Geistigen in der Kunst verbunden – ein Dialog, der uns auch in der Gegenwart viel zu sagen hat.




TOP