WV-Nr: 1990-02
"Etude mit Schlagschatten" 1990 200 x 270 cm, Acryl auf Leinwand Privatbesitz
WV-Nr: 1990-04
"Abgesagte Ferienreise" 1990 200 x 150 cm, Acryl auf Leinwand Privatbesitz
WV-Nr: 1990-01
"Chateau d´Eau" 1990 150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand
Bayer. Staatsgemäldesammlung, München
(erworben 1992, Dauerleihgabe im Uni-Klinikum Rechts der Isar, München)
WV-Nr: 1990-06
"Stehen und Fallen" 1990 150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand Städt. Sammlungen, Tuttlingen (erworben 1992)
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TEXT-ARCHIV
Rolf Linnenkamp Reinhard Fritz - Maler des Monadismus 1
Katalogtext zur Ausstellung in der Autoren Galerie 1, München 1991
Reinhard Fritz verfügt über ein derart differenziertes Farbempfinden, dass er
keinen Vergleich mit modernen Künstlern zu scheuen braucht. Maltechnisch
betrachtet, erinnern zahlreiche seiner farbigen Strichlagen an Segantinis
Divisionismus. Fritz versieht seine Gemälde mit Titeln, die sich aus der
jeweiligen Darstellung in den meisten Fällen nicht ablesen lassen. Diesen
Mediensprung hat der Abstraktionismus einst als Ausgleich für eidetische
Aussageverweigerungen erzwungen. Ein solcher Wechsel kann reizvoll wirken,
wenn er dem Kunstwerk ein belebendes Moment zuführt: Scherz, Satire, Ironie.
Nichtsdestoweniger gibt das Medium Bild seinen Führungsanspruch gegenüber
dem Medium Wort nie auf. Den totalen Vorrang der Malerei bekräftigt Fritz
dadurch, dass er in seinen Gemälden kaum einen Ansatz zu verbaler
Erweiterung bietet: Seine Geschöpfe sind monadischen Charakters, der letztlich
nur Tautologien lehrt. Übrigens ist solch gepflegter Solibsismus in der Bildenden
Kunst schon lange verbreitet, so dass sie sich hierin ausnahmsweise einmal als
echte Avantgarde der Gesellschaft erwiesen hat. Denn was verkündet die
Aufklärung im Zeitalter des Neoproletarismus? Natürlich das Nächstliegende:
Selbstbestätigung durch ipsoide Abgrenzung, Selbsverwirklichung in
Monomanie, Selbstfindung durch Kommunikationsblockade - Aufstand gegen
Vermassung. Nun entschlüsseln sich die Fritz-Bilder fast von allein:
1. "Etüde mit Schlagschatten" 1990, Acryl auf Leinwand, 200x270cm.
Der untertreibende Haupttitel "Etüde" steht im doppelten, gekoppelten
Widerspruch zur Realität des Gemäldes: Erstens stammt dieser Begriff aus der
Musikterminologie und nicht der Körperwelt, welche allein Schlagschatten
kennt; zweitens ist er per definitionem dem Riesenformat des Gemäldes nicht
angemessen. Beide Irreführungen sind zwar völlig überflüssig, aber nicht
sinnlos. Was der Maler verbal als Ironie verstanden wissen will, verrät
psychisch eine Abschirmung durch Medienwechsel: Das Wort soll den
Betrachter auf eine falsche Fährte, auf jeden Fall weg vom Bilde locken.
Desungeachtet sieht man eine ungemein fein verästelte und verwobene
Melange ohne Horizont, quasi unbegrenzt nach allen Richtungen. Das
Farbmuster wird von Purpurvariationen beherrscht, die sich harmonisch von
Grün- und Blau-Paraphrasen abheben. Der Maler lässt die tradierte Lösung,
eine einzige Lichtquelle als kompositionsverbindlich anzuerkennen, bewusst
ausser Betracht. Er hält es eher mit schattenbildenden Effekten, die uns von
Flutlichtanlagen vertraut zu sein scheinen. Die anmutige Farbtextur wird
gleichsam von einem weißen Dolch scharf durchschnitten, der mit
geländegängigen Schlagschatten unsichtbarer Degen eine Art Raster bildet,
dessen Koordinaten in der Sehrichtung von links nach rechts ansteigen, womit
sie einen gelinden Optimismus signalisieren. Da keine maßspezifischen
Kompositionselemente erscheinen, hat alles am Unendlichen Rapport teil.
2. "Die abgesagte Ferienreise" 1990, Acryl auf Leinwand, 200x150cm.
Der geplante Trip fällt also aus. Schade. Was wäre wohl daraus geworden?
Jedenfalls ist aus der Negation ein Positivum entstanden: dieses Gemälde. Der
schmale blaue Streifen, der oben dahinzieht, mag Himmel oder Meer oder auch
beides bedeuten. Sowieso bleibt alles im Ungefähren. Zwischen die hellen
Halme, welche die orangefarbene und violettrötliche Textur der restlichen
Bildfläche akzentuieren, mischen sich grüngelbliche distelähnliche Blätter,
welche die Erinnerung an Dünen erwecken. Die Pflanzen werfen, wiederum
nicht einhellig, rotbräunliche Schatten auf den amorphen Boden, der zum
Hintergrund in rötliches Gelb überläuft. das von fern an Sand, an Strand
gemahnt.
3. "Wasserturm" (Chateau d´Eau) 1990, Acryl auf Leinwand, 150x200cm.
Auch hier bleibt der ´Titelheld` verborgen, entbietet aber immerhin - wie in
Platos Höhlengleichnis - seinen Schatten, der bizarr verzerrt, verfärbt zu
transpatentem Violett über Flächen wogender Blaus huscht: Der Turm fällt
gewissermaßen ins Wasser. Die lanzettförmigen Halme erheben sich in Hellblau,
dem das oberflächenverhaftete Mittelblau ihrer Schatten gewissermaßen eine
optische Basis verschafft. Wiederum zielen Licht und Schatten nicht wie üblich
monophysisch, sondern polyteletisch, gesetzesfrei in verschiedene Richtungen.
4. "Stehen und Fallen" 1990, Acryl auf Leinwand, 150x200cm.
Die hellen Kästen in Weiß-Gelb-Braun stehen größtenteils gekippt, sind oft
schon gefallen, was angesichts der Turbulenz, die ihren olivtonigen Boden
erschüttert, nicht weiter verwundert: Die eigenartigen braunrötlichen
Kraftströme lassen sich zwar erkennen, aber nicht verfolgen - geheimnisvoll,
wie sie irgendwoher kommen, verschwinden sie irgendwohin. Mysteriös mutet
auch das polychrome und polyteletische Spiel der Schatten an, die abermals
auf originelle Weise die Szene beleben: Von den Kästen fällt er grünbläulich,
von den grüngräulichen Halmen blaugrünlich - wie auf einem anderen Stern.
In der modernen Universologie lassen sich die entscheidenden Vorgänge des
Naturgeschehens sowohl in der Mikro- als auch in der Makrophysik nachweisen.
Deshalb ist es in der Tat belanglos, ob die Schatten heliozentrisch fallen oder
geradezu regellos wie hier. Gegenstände taumeln im Sog unsichtbarer Mächte,
verstoßen von Kräften, die unsichtbar sind. Die Schatten sind auch nicht mehr
das, was sie früher waren, nämlich dunkel, drohend, lastend, sondern eher
luftig, fast so wie ihre scheinbaren Urheber. Die hellen Mischtöne verkünden,
dass die Entscheidung zwischen den Grundfarben vertagt worden ist; vielmehr
fließt alles ineinander über, vermischt, duldet, ergibt sich. Diese Bilder
gewähren eine weitaus größere Freiheit, als die konventionelle Malerei jemals
einräumen würde, sollte oder könnte. Deshalb ist es auch hier durchaus
statthaft, in ihnen gleichsam eine Spiegelung wesentlicher Züge von Millionen
und Abermillionen Menschen unserer Gesllschaft zu erblicken. Der immergrüne
Wunsch nach Selbstbestimmung ohne Fremdeinfluss akzeptiert im Grunde
weder Freund noch Feind, weil er ex ente ipso auf Unantastbarkeit des eigenen
Bereiches bestehen muss. Was Reinhard Fritz im Laufe der letzten Jahre
erarbeitet hat, ist nach genauer Betrachtung, unverwechselbar: Er hat - wenn
man so will - seinen Stil gefunden.
Rolf Linnenkamp
München, im März 1991
1 Anmerkung der Redaktion: Der Monadismus ist eine der zwölf von Rudolf Steiner besprochenen grundlegenden Weltanschauungen.
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